26.Apr.2017

Ukrainische Namenwelt - Das Namensystem in d ...

Namen Ukraine

In der Ukraine dienen Vorname („іmja“), Patronym resp. Vatersname („pо bаtkкоwі“) sowie Nachname („prіswyschtschе“) gemeinsam der genauen Identifizierung einer Person. Die Pflichten und Rechte einer Person sind rechtlich ohne diese drei obligatorischen Namensbestandteile nicht zuordenbar. Daher werden auch alle drei Bestandteile – einschließlich des Patronyms – in jedem offiziellen Identifikationspapier angegeben. Im Folgenden sollen Formen und Bildung dieser drei Namensbestandteile etwas genauer beleuchtet werden.

Die ukrainischen Vornamen

Im Jahr 2016 waren Anna, Anastasija, Marija, Sofija und Ewa die beliebtesten Mädchennamen, Maksym, Aleksandr/Oleksandr, Dmitrij, Andrij und Wladislaw die beliebtesten Jungennamen in der Ukraine, wobei Anna und Maksym die jeweiligen Spitzenreiter darstellten. Gewählt werden die Namen aus ganz unterschiedlichen Gründen. Häufig wird das Kind nach dem Heiligen benannt, dessen Namenstag mit der Geburt des Kindes zusammenfällt. Aber auch die familiäre und/oder nationale Tradition (Namen der Eltern oder Großeltern; traditionelle Vornamen ethnischer Minderheiten) spielen bei der Wahl des Vornamens eine Rolle. Zudem werden seit einigen Jahren immer häufiger alte biblische bzw. geschichtsträchtige Vornamen gewählt. So ist der Spitzenreiter Anna, unter die die in der Ukraine auch stark verbreitete hebräische Form Hanna subsumiert wird, nach orthodoxer Überlieferung unter anderem der Vorname der Großmutter von Jesus Christus.

Anhand dieser Beispiele wird zudem deutlich, dass auch bei den Vornamen die für slawische Sprachen charakteristische geschlechtsspezifische Suffigierung stattfindet. Während männliche Namen typischerweise auf einen Konsonanten enden („Nullendung“), sind weibliche Vornamen durch das Suffix -a bzw. -ja markiert. Aber es gibt auch Ausnahmen wie eine -a- bzw. -o-Endung bei männlichen Vornamen wie Leonardo oder Mykola (= ukrainische Entsprechung von Nikolaus; früher Mykolaj) sowie eine konsonantische Endung bei weiblichen Vornamen: Michelle („Мischel“), Nicole („Nikol“), Jasmin („Shаsmin“) oder Mercedes („Меrsedes“) bzw. ein von a abweichendes vokalisches Suffix wie bei Lucy („Ljusi“). Diese Ausnahmen sind in aller Regel keine typisch ukrainischen, sondern aus anderen Sprachen entlehnte und ukrainisierte Vornamen. Sie sind zudem eher selten und klingen für ukrainische Ohren sehr ungewöhnlich, wenngleich auch in der Ukraine der Trend zu ausländischen Vornamen zunimmt und bereits 2007 ein Fünftel der neugeborenen ukrainischen Babys ausländische Namen erhielt.

Auch Doppelnamen sind eher selten anzutreffen und werden mit Bindestrich geschrieben: Bohdan-Jurij oder Rostislaw-Wolodomir für männliche Namensträger bzw. Іryna-Switlana oder Lidija-Julija für weibliche. Im Gegensatz zum Deutschen gibt es im ukrainischen Namenssystem auch Vornamen, die mit einem Apostroph geschrieben werden können. Beispiele hierfür sind unter anderem Dem‘an, Waler‘an, Dar‘ja und W‘jatscheslawa.

Generell unterliegen ukrainische Eltern hinsichtlich der Vornamenswahl – anders als in Deutschland – keinen gesetzlichen Beschränkungen. Während in Deutschland beispielsweise durch den Vornamen das Geschlecht eindeutig zuordenbar sein soll, geschieht dies im ukrainischen Namenssystem auch anhand der Suffigierung von Patronym und Familienname, sodass – wie oben bereits aufgezeigt – bei den Vornamen das geschlechtsspezifische Suffix auch wegfallen kann.

Die ukrainischen Patronyme

Im ostslavischen Raum spielen Patronyme eine besondere Rolle und wurden nicht wie in vielen anderen Ländern ersetzt oder in Familiennamen umgewandelt, wenngleich viele ukrainische Familiennamen auch einen patronymischen Ursprung haben. Die Ukraine bildet hier keine Ausnahme. Auch per Gesetz ist bei der Geburt eines Kindes immer der Vorname des Vaters zur Ableitung des Patronyms anzugeben. Sollte die Vaterschaft nicht bekannt sein, wird dieser nach den Angaben der Mutter gewählt. Die Bildung des Vatersnamen unterliegt zudem festen Regeln. So enden die Patronyme für männliche Nachkommen in der Regel auf
a) -оwytsch („jowytsch“), seltener aber auch auf
b) -ytsch („-іtsch“):

а) -owitsch, -jowitsch: Die beiden Söhne des ehemaligen Boxprofis und jetzigen Bürgermeisters von Kiew Witalij Klitschko heißen beispielsweise Jegor-Daniliji Witalijowytsch und Maksym-Oleksandr Witalijowytsch Klitschko. Die Söhne des amtierenden ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko entsprechend Oleksij Petrowytsch und Mychajlo Petrowytsch Poroschenko.

b) -ytsch, -іtsch: Illja → Illitsch; Luka → Lukytsch (auch Lukowytsch); Sawa → Sawytsch (auch Sawowytsch)

Die Patronyme weiblicher Nachkommen werden dagegen mit den Suffixen -іwna bzw. -jiwna markiert: So heißt Klitschkos Tochter Jelisaweta-Wiktorija Witalijiwna Klitschko und Poroschenkos Töchter heißen Jewgenija Petriwna und Oleksandra Petriwna Poroschenko.

Sollte der Vater einen Doppelnamen wie Bohdan-Jurij haben, wird üblicherweise das Patronym vom ersten Teil des Doppelnamens gebildet: Olena Bohdaniwna bzw. Oleksij Bohdanowytsch. Auf Wunsch der Eltern ist allerdings auch eine Bildung aus beiden Bestandteilen des Doppelnamens möglich: Irina Bohdan-Jurijiwna bzw. Oleksij Bohdan-Jurijowytsch.

Die ukrainischen Familiennamen

Das Kind übernimmt den Familiennamen der Eltern mit dem jeweils geschlechtsspezifischen Suffix, d.h. männliche Nachkommen erhalten den des Vaters, weibliche den der Mutter (siehe auch unter „Was passiert nach der Heirat“). Sollten diese über unterschiedliche Nachnamen verfügen, wählen die Eltern einen der beiden Nachnamen für das Kind.

Analog zum Deutschen können die Familiennamen topografischen Ursprungs sein und entsprechend Ortsbezüge herstellen oder auf Charakteristika bzw. Berufsbezeichnungen eines Vorfahrens beruhen. So entspricht der am häufigsten in der Ukraine anzutreffende Familienname Melnik beispielsweise dem deutschen Müller, der beinahe ebenso häufige Familienname Schewtschenko dem deutschen Schuster/Schumacher bzw. genauer: Sohn des Schusters/Schumachers – aber dazu gleich mehr. Generell können die Suffixe der Nachnamen in drei Gruppen unterteilt werden:

1. Gruppe: Diese Suffix-Gruppe ist am häufigsten anzutreffen und wird patronymisch gebildet. Zu ihr gehören

  • -enko / -jenko → Petrenko, Danylenko (hauptsächlich im Osten der Ukraine verbreitet)
  • -uk / -juk → Petruk, Danyljuk (hauptsächlich im Westen der Ukraine verbreitet)
  • -owytsch / -ytsch → Petrytsch, Danylowytsch
  • -iw → Petriw, Danyliw
  • -ez / -jez / -s / -k- / -o (= Diminutivsuffixe) → Petrus, Danylko

Zudem finden sich in den zum ehemaligen Russischen Kaiserreich gehörenden Gebieten und in Transkarpatien auch das Nachnamen mit den Suffixen

-ow / -ew / -je → Michajlow, Petrow, Romanow, Andrejew

Zu dieser Gruppe gehört auch das patronymisch-matronymische Suffix -yn mit verbreiteten Familiennamen wie beispielsweise Oleksyn (=syn Oleksija, dt. Sohn von Oleksij) oder auch Andrijischyn (= syn Andrijichy, dt. Sohn von Andrijs Frau) oder Djatschyschyn (= syn Djatschychy, dt. Sohn der Frau des Dekans). Adrijicha und Djatschycha sind hierbei alte weibliche Rufnamen, die mit dem deutschen „Frau Doktor ...“ vergleichbar und heute durchaus noch gebräuchlich sind, wenn auch eher in dörflichen Gebieten.

2. Gruppe: Hierzu gehören Familiennamen mit Suffixen, die auf den Beruf eines Urahns oder eine Handlung/Tat bzw. Eigenschaft, durch welche dieser seinen Spitznamen erhielt, verweisen. Hierzu gehören insbesondere folgende Suffixe:

-ij → Palij (von „Brandstifter“) / -аj → Tjahaj (vom Verb „ziehen“) / -loTrjasilo (vom Verb „zittern/beben“ / -jlo → Minjajlo (vom Verb „verändern“) / -un → Dejkun (vom Adjektiv „wild“) / -аn → Mowtschan („der Schweigsame“) / -yk, -nyk, -tschyk → Pаsitschnyk („Imker“), Kuptschyk („Kaufmann“) / -аr → Kobsar („Spieler der Kobsa“)

3. Gruppe: Zu dieser Gruppe gehören Suffixe, die auf die topografische oder familiäre (Geschlechter-)Herkunft indizieren:

-skyj / -zkyj: Während adlige Nachnamen wie Wyschnezki, Ostroski oder Chmelyzk auf den Besitz verweisen, beziehen sich die Familiennamen bei einfachen Leuten häufig auf den Geburtsort bzw. Herkunftsort: Poltawskyj (aus Poltawa) oder Chorolskyj (auch Chorol). In einigen Fällen werden auch die Suffixe -ez / -jez verwendet: Kaniwez — aus Kaniw bzw. Kolomijez — aus Kolomji oder -yj wie bei → Hajowyj – aus Haj verwendet.

Es existieren auch Vermischungen zwischen diesen Gruppen wie beispielsweise Schewtschenko (= „Sohn des Schusters“), Kowalenko (= „Sohn des Schmieds“) oder auch Palijtschuk (= „Sohn des Brandtsifters“) zeigen. Zudem sind immer auch genuin polnische (v.a. im Westen) und russische (u. a. Osten) Formen dieser Suffgierungen verbreitet.

Was passiert nach der Hochzeit mit den Namensbestandteilen

Während Vorname und Patronym gleichbleiben, wird die Wahl des gemeinsamen Familiennamens als persönliches Rechts betrachtet. Das heißt, die zukünftigen Ehepartner können wählen, ob sie einen gemeinsamen Familiennamen (von Frau oder Mann) besitzen möchten, ihre jeweiligen Geburtsnamen beibehalten oder einen Doppelnamen bilden. Letzteres ist ausgeschlossen, wenn einer der Ehepartner bereits einen Doppelnamen hat. Am häufigsten übernimmt allerdings die Ehefrau den Nachnamen des Ehemannes. Im Ukrainischen erhält dieser dabei ein geschlechtsspezifisches Suffix (-a/-ja):

Beispiele:

Ehemann (Sohn) → Ehefrau (Tochter)
Stepowyj → Stepowa
Sadoroshnij → Zadoroshnja
Hawryliw → Hawrylowa
Kowaliw → Kowalewa
Palijew → Palijewa
Kusmyn → Kusmyna
Nadijin → Nadijina

Der Familienname des Ehemannes wird auch an den Sohn, der der Ehefrau an die Tochter weitergegeben. Endet der vom Ehemann übernommen Familienname auf -а (-ja), kann die Ehefrau diesen direkt oder auf Wunsch mit dem adjektivische Suffix -yna (-jina) übernehmen. Heißt der Mann beispielsweise Iwan Malynka, kann sich seine Frau
a) Hanna Malynka oder
b) Hanna Malyntschyna nennen.

Anders als im Deutschen, wo Namen in aller Regel nur im Genitiv markiert werden und dann jeweils nur der zuletzt verwendete Namensbestandteil, werden im Ukrainischen zudem in aller Regel alle drei Namensbestandteile für alle sieben ukrainischen Kasus durchflektiert.