16.Mai.2012

Preußen, Indianerkrapfen und Friedhofsfliegen

Da wir Deutschen nicht nur gefühlt, sondern auch statistisch gesehen die Weltmeister im Verreisen sind, kommen wir auch regelmäßig in den kulinarischen Genuss unserer Urlaubsnationen. Bei näherem Hinsehen entpuppen sich oftmals fremd geglaubte Köstlichkeiten als alte Bekannte und mitunter sogar als deutsche Exportschlager. 

Grund für die erste Verwirrung sind die unterschiedlichen Namen, die Exonyme, die uns eher von Städtenamen bekannt sind. Da wundert es uns nicht, dass die Engländer ins parfümierte Cologne fahren, wo wir nur auf dem Weg nach Köln sind. Aber wenn wir in einer Bäckerei dann plötzlich das gute alte Schweinsohr als Palme verkauft bekommen, steht schon die Frage im Raum, wo denn das Pig's Ear geblieben ist.

Grundsätzlich lassen sich drei Bennenungsmotive bei konditorreifen Süßwaren herausstellen, die in allen Sprachen zu finden sind: Die Namengebung nach

  • dem Aussehen
  • dem Herkunftsort beziehungsweise, woher man die Speise ursprünglich kannte und
  • nach Art der Herstellung.

Das Schweinsohr

Das beliebte Schweinsohr gehört zunächst in die Kategorie, die nach dem Erscheinungsbild benennt und das nicht nur im deutschen Sprachraum. Angeblich soll es 1848 in Paris erfunden worden sein, wo es romantisch Cœurs de France ( Die Herzen Frankreichs) oder Palmier (Die Palme) heißt, weil die Form unsere französischen Nachbarn wohl an die auffällige Baumkrone einer Palme erinnert hat. In England nun hält man sich aufgrund der geschichtlichen Nähe und allgemeiner Frankophilie fast immer an die französischen Namen, daher sind hier auch die french hearts und der palm tree zu finden. Allerdings wurden neben diesen noch andere fantasievollere Bezeichnungen wie glasses (Brille) oder elephant's ear (Elephanten-Ohr) benutzt, womit wir nicht die einzige Nation sind, die sich an etwas Tierisches erinnert fühlt.

Schweinsohr
Palmier, Cœurs de France
french hearts, glasses, palm tree, elephant's ear
Prussiens, Dessertpreussen
Biscotti Prussiani, Palmine

Aufschlussreich zum wahren Ursprung des Gebäcks und damit zur Herkunfts-Kategorie gehörend kann namentechnisch die Schweiz sein, wo es Prussiens (Preußen) genannt wird.
Der Blätterteig, aus dem das Schweinsohr und auch der Strudel (der es in den englischen Wortschatz geschafft hat) bestehen, kam im 13.Jahrhundert durch die heimkehrenden Truppen der Kreuzzüge aus dem arabischen Raum nach Europa. 400 Jahre später, als die Türken Wien belagerten, gehörte das Herzogtum Preußen zu den Verbündeten der Habsburger Monarchie, womit man mit der spartanischen Feldküche der Preußen wohl erste Berührungspunkte hatte. Zu dieser Zeit wurde das Kommissbrot erfunden, dessen unspektakuläre und leicht zu beschaffende Zutaten ebenfalls ausreichten, um für die Herrschaften im Felde eine einfache Süßigkeit herzustellen. Ob das nicht vielleicht das Schweinsohr ohne die Schokoladenseite war? Zudem befand sich ein Teil der Westschweiz im 18.Jahrhundert auch noch in preußischer Hand, wodurch es mehr als möglich ist, dass ein solches Gebäck aus Preußen Eingang in die Bäckereien fand (vgl. Artikel auf Blogwiese).