Turbanisch

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Hallo, ich versuche für einen Sportfreund die Herkunft und Bedeutung des Namens Turbanisch zu ermitteln. Hat jemand Informationen zu diesem Namen? Es wäre nett, wenn er sie mir zukommen lassen könnte. Vielen Dank im Voraus!

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 Es handelt sich um einen Zigeuner- (Roma und Sinti-) Namen: .,.. wo der aus einer alten Scherenschleiferfamilie entstammende Zigeuner Turbanisch als Schausteller über Land fährt, .... Link  

Ähnliches im Werk: Zigeuner in Altbayern 1871 -1914

Da diese Volksgruppe ursprünglich aus Indien stammt, wo der Turban weit verbreitet ist, könnte sich der Name natürlich darauf beziehen. Aber das wird sich ja jeder selbst schon gedacht haben.

MfG

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Ganz so einfach

ist die Bedeutung dieses interessanten Familiennamens nicht!

Nach dem Standardwerk Dillmann (Seite 270 ff.) gab es tatsächlich, vorwiegend im 19. Jahrhundert, eine Sippe Turbanisch, die zu den Yenischen gezählt werden muss. Zeitgleich vermerkt der Dillmann allerdings auch uns andere geläufige Namen, wie Wagner, Weiß, Wernecke, Halbreiter, Halbhuber, Scharf oder 500 andere Familennamen, die den Zigeunern zugerechnet worden sind! Einige Turbanisch werden also im 19. Jhd. den Zigeunern zugerechnet, aber viele Weiss und Huber auch. Herr Rüdiger Benninghaus aus Köln erforschte diese Familie Turbanisch über viele Jahre und schrieb darüber seine Diplomarbeit.

Danach kann der Name Turbanisch einwandfrei vom Heiligen Urban abgeleitet werden, so wie auch die Namen Turban und Urban. Turbanisch ist die slawische Variante dieses Familiennamens, der tatsächlich aus Ungarn oder Rumänien stammen könnte.

Gesichert erscheint es, daß die Sippe zum ersten Mal 1649 (Eintrag) in Kulmbach/Oberfranken, auf deutschem Boden erwähnt worden ist. Der Freiherr von Guttenberg hatte damals in Osteuropa katholische Familien angeworden, um wieder Menschen in das vom 30 jährigen Krieg verwüstete Franken zu bringen, als auch um ein Gegengewicht zu den Überhand nehmenden Protestanten zu erzeugen. Diese Familie war im 18. Jhd. als Kleingewerbetreibende in den amtlichen Urkunden vermerkt. Ab den napoleonischen Kriegen, zum Anfang des 19.Jahrhunderts, teilte ich die Familie in zwei sehr unterschiedliche Zweige: der eine Zweig wurde fortan den Yenischen zugeordnet, der andere wurde unter dem Namen Turbanisch, wie auch unter anderen Namen, eingebürgert. Die Yenischen sind ein fahrendes Volk, das auch heute noch als verbreitete Sippe in der Schweiz, in Österreich und in Bayern existiert. Mit Roma und Sinti sind sie allerdings nur entfernte Cousins, zu unterschiedlich sind ihre Bräuche und Sitten. Noch heute gibt es Turbanisch, die als Scherenschleifer, als Schrotthändler oder Marketender tätig sind.

Auf der anderen Seite gibt es den früh integrierten Zweig der Turbanisch, zu dem verschiedene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zählen.

Sehr deutlich und extrem wurde dieser Unterschied während der Nazi-Herrschaft. Viele Turbanisch verschwanden in den 30er und 40er Jahren in Straflagern als gebrandmarkte Zigeuner. Sehr viele überlebten dabei den II. WK nicht. Der andere Teil der Familie war dahingegen in allen Waffengattungen des 3. Reiches zu finden: Luftwaffe, Heer, Artillerie, Waffen-SS in Ungarn und sogar SS- Totenkopfbrigade in Berlin. Sie galten also als Arier (!) mit einem Ariernachweis über mindestens 3 Generationen.

In dieser Familie gab es also wenig Personen mit einem Mittelmaß. Der Kern der Familie war in Oberfranken angesiedelt und breitete sich nach und nach über alle Bundesländer aus. Heute führen etwa 800 Menschen diesen Familiennamen. 

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Platon schrieb:

Herr Rüdiger Benninghaus aus Köln erforschte diese Familie Turbanisch über viele Jahre und schrieb darüber seine Diplomarbeit.

Danach kann der Name Turbanisch einwandfrei vom Heiligen Urban abgeleitet werden, so wie auch die Namen Turban und Urban. Turbanisch ist die slawische Variante dieses Familiennamens, der tatsächlich aus Ungarn oder Rumänien stammen könnte.

So weit her scheint es mit der langjährigen Erforschung des Namens durch Rüdiger Benninghaus nicht zu sein, wenn er dessen Herkunft gar nicht nachweisen kann, sondern nur vermutet, er stamme aus Ungarn oder Rumänien. In diesen Ländern kommt der Name aber in den entsprechenden Schreibweisen gar nicht vor, ebensowenig ist die slaw. Form Turbaniš irgendwo zu finden. Es ist allerdings bekannt, dass die Zigeuner über den Balkan nach Mitteleuropa gelangten.  Ebenso bekannt ist, dass sich der in Deutschland verbreitete Name DURBAN und die Dialektvariante TURBAN von Urban ableiten. Ob das aber auch in diesem Fall zutrifft, bleibt fraglich. Leider fehlt in dem Beitrag der Beleg, warum auch Turbanisch "einwandfrei" davon abgeleitet werden kann. Trotzdem ein interessanter Aufsatz.

MfG

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Danke für das gefällige Lob Diogenes! Über eine Google-Recherche kann man die Erläuterungen eines deutschen Wissenschaftlers aus Leipzig finden, der in Zusammenarbeit mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel auch diesen Familiennamen und seine Herkunft eroierte. Seiner Meinung nach ist Turbanisch die slawische Variante des Hl. Urban, einem polnischen Bischof. Soweit der Beleg zur einwandfreien Zuordnung. Interessant ist es dahingegen, in dieser Diskussion zu lernen, daß es die slawische Form so nicht geben soll. 

Urban, Turban, Durban, Turbanek, Urbanek, Urbanik, Turbany, Turbanisch - ich frage mich, ob das eine homogene Kette darstellt? Das sind alles in Europa weitverbreitete Namen. Die nächste hochinteressante Frage ist, wie ein Turbanisch einer Turbanisch Sippe im III. Reich in der Leibgarde von Adolf Hitler dienen konnte? Wie konnte ein Turbanisch als Ufz. Beobachter in hochsensiblen Kriegseinsätzen über England eingesetzt worden sein? Viele Turbanisch waren an der Ostfront, sind dort gefallen, waren in SS-Kampfverbänden organisiert, sind in Heldenfriedhöfen beigesetzt worden.

Wir können daraus nur folgern, daß diese Familie mehrere Verzweigungen gekannt haben muss. Es kommen sicher auch willkürliche Namensänderungen hinzu und Menschen, die durch Heirat zu Turbanisch wurden. Auf alle Fälle hatte sich Herr Benninghaus die beachtliche Mühe gemacht, alte Kirchenregister und Familienstammbücher zu analysieren, um diese Familiengeschichte über 350 Jahre zu verfolgen.

So finden wir die Turbanisch sowohl auf der "romantischen" Seite der Yenischen - ohne Bezug zu Sinti- oder Romagruppierungen - als auch auf der Seite des brutalen Naziregimes. Die Yenischen, oder Jenischen, waren eher ein verarmter Teil der Bevölkerung in dieser Zeit, der von Gaunereien und Bettelei lebte. Diese soziale Schicht ging auf die Auswirkungen des 30 jährigen Krieges zurück, der ganze Landstriche in ein unbeschreibliches Elend gestürzt hatte. Viele stellenlose Söldner zogen durch das Land, verarmte Bauern, Knechte ohne Arbeit, Kriegsverletzte. Diese, fast möchte man sagen, Bruderschaft der Leidgenossen hatte eine gemeinsame Sprache - das Jenische oder Rothwelsche - eine Art Gaunersprache, und diese Bruderschaft hält sich bis in die heutigen Tage in mehreren Ländern. Auffallend ist dabei, daß sich die Mitglieder selbst nicht als Jenische bezeichnen. Laut der Bayrischen Kriminalgeschichte setzen sie sich vorwiegend aus Schwaben und Bayern zusammen, einige Juden komplettierten die Sammlung. 

Es mag sein, daß sich hier neben den Sinti und Roma eine Art "deutsche Trittbrettfahrer" gebildet hatten, die aus Verzweiflung und aus Freiheitsstreben die Sitten der Zigeunern angenommen hatten. Sie hatten allerdings weder deren Bräuche, noch deren Sprache übernommen. Die Yenischen wurden zur 3. Kolonne.

Ebenfalls bemerkenswert eine Statistik der "Etudes Tsiganes", 24ème année, Band Nr. 3, 1978 in Paris erschienen, und hier Seite 14 "Liste der Zigeuner- und Yenischenfamilien in Europa": Adam, Adel, Auerbach, Baier, Bayer, Birkenfelder, Blach, Box, Brommer, Brand, Büler, Brunner, Christ, Eberle......( es folgen 25 weitere Namen).... Teufel, Turbanisch, Unger, Valier, Wagner, Weber....etc. Für den französischen Zweig wird angegeben: Deikon, Demeter, Dodor, Freiwald, Gomann, Hofmann, Horn, Kalé, Kling, Niederhöffer,,Reinhardt, Reiss, Richter, Soginger, Unger, Wagner, Winterstein.

Es taucht also für Deutschland der Name Turbanisch auf, die Namen Wagner, Weiss und Unger tauchen dabei noch häufiger in den Listen auf. Welcher Wagner oder Richter könnte heute noch sagen, daß er von Zigeunern abstammt? Hier steht vielleicht der Name Turbanisch noch als verklärter Familienname des Romantismus des 19. Jhd. symbolisch für eine ganzen Teil der Geschichte Deutschlands und steht als Zeitzeuge für die gewaltigen Migrationen des 17. Jahrhunderts.

Daß nun der Turban als Namensgeber für diese "Familie aus Indien" herhalten muss, ist eine zu simple Erklärung, die mir sehr gewagt erscheint, wenn man denn die Namensähnlichkeiten der anderen Turbans und Urbans und Turbanek berücksichtigt. Wenn dem wirklich so gewesen wäre, hätten die Turbanisch die Prozedur des Ariernachweises der 1930er Jahre sicher nicht bestanden!

 

 

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Auch dieser Artikel ist wieder sehr interessant, und das ist meine ehrliche Meinung. In meiner Erklärung an den Fragesteller bezog ich mich auf den "Zigeunernamen" TURBANISCH. Die Literatur belegt ja, dass es sich in Bayern um eine Zigeunerfamilie handelt. Die Hypothese von der slaw. Herkunft macht zwar auf den ersten Blick theoretisch Sinn, da -iš / -isz in der Tat slaw. Namensuffixe sind. Ich kann nur keine Urbaniš / Urbanisz, Durbaniš / Durbanisz oder Turbaniš / Turbanisz im slaw. Sprachraum finden. Selbst in Tschechien kommt Turbanisch nur in der deutschen Schreibweise vor und das auch nur an der bayrischen Grenze. Link .  Auch der Name Turban kommt in Tschechien nur 3-mal, in Polen nur 7-mal. Link . In der Ukraine und in Russland jedoch häufiger.  Es ist anzunehmen, dass die Ableitung des Namens Turban  von Urban offenbar nur im germanischen Sprachraum möglich ist, wohl aus der Verbindung Sankt-Urban. Ich meine, die Hypothese, der Name TURBANISCH leite sich von Urban ab, scheint sehr unwahrscheinlich und müsste erst noch bewiesen werden. (Auch die Meinung eines Leipziger Wissenschaflers ist noch kein "einwandfreier Beleg", sondern seine Hypothese)

Die Tatsache, dass einige Namensträger im III. Reich in der Leibgarde von Adolf Hitler gedient haben, wie du schreibst, kann daran liegen, dass diese Linien schon sehr früh (seit dem 17. oder 18. Jh.) integriert waren und ihre Herkunft nicht mehr nachzuweisen war bzw. sich durch frühe Heiraten außerhalb der Volksgruppe zur Unkenntlichkeit verdünnt hat. 

In der Namensdeutung ist selten eine absolut sichere Erklärung möglich, daher schrieb ich anfangs ja auch: "Da diese Volksgruppe ursprünglich aus Indien stammt, wo der Turban weit verbreitet ist, könnte sich der Name natürlich darauf beziehen." Aus den genannten Gründen scheint mir jedoch die Herleitung dieses Namens von der getragenen Kopfbekleidung des Namensträgers wahrscheinlicher als vom Heiligennamen Urban.

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Nachtrag:

In der Ukraine ist der Name Турбанист (TURBANIST) verbreitet. Das klingt ja, besonders bei einer schwäb. Aussprache, dem Namen TURBANISCH sehr ähnlich. 1444/45 belegen Dokumente die Anwesenheit von Roma in Galizien [heute größtenteils zur Ukraine gehörig]. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts bezeugen Geleit- und Schutzbriefe ihren Aufenthalt in Litauen, Bessarabien und der Ukraine. Link. Auch bei facebook finden sich Bilder von Personen namens Турбанист, Link die auf eine nichtslaw., südländische Herkunft deuten. Evtl. kam die Familie von dort nach Deutschland.

Die slaw. Namen TURBAN und TORBAN sowie TURBANIST leiten sich nicht vom Turban (und erst recht nicht von Urban) sondern von der ukrainischen Laute (Musikinstrument) genannt  "Torban" ab. Ukr./russ. torbanist = Torbanspieler (торбанист м. 1) Музыкант, играющий на торбане. 2) Тот, кто играет на торбане).

An IMPORTANT NOTE: The term TORBAN predates the existence of it as an instrument by at least 50 years, and it previously (until the advent of the instrument in question) denoted any European theorbo/lute that found its way into Ukraine.

 Eine ähnliche Spur:

In Bessarabien (Gebiet zwischen Rumänien und der Ukraine) ist neben Torbanist auch der FN Torbanieș bezeugt (ș = sch). Link

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Hier haben wir es mit einer wirklich interessanten Entdeckungsreise zu einem ungewöhnlichen Familiennamen zu tun! Danke für deine Recherchen und hilfreichen Ausführungen zu dieser Namenssuche.

Du wirst es bereits gemerkt haben Diogenes: ich habe ein starkes Interesse an diesem Namen, da ich seit langem an einem monumentalem Buch schreibe, in dem unter anderem auch die Familiengeschichte der Turbanisch in all ihren farbigen Facetten vorkommt. Dazu sammelte ich über Jahre alle Dokumente (Geburtsurkunden, Totenscheine, Familienbücher, Heiratsurkunden, Namensänderungen, Sterbebilder, Soldbücher, Fotos von Gräbern, Personen, Häusern) und Zeitzeugenberichte (Interviews mit ehemaligen WK II-Teilnehmern, dem "Leibwächter von Hitler", Jenischen, Bauern, Scherenschleifern), deren ich habhaft werden konnte. Heraus kam die faszinierende Geschichte einer Dynastie, die sich im 19. Jahrhundert in zwei Gruppen geteilt hatte: die fränkische und die Frankfurter Linie, wobei damit Frankfurt am Main gemeint ist. Im Raum Frankfurt waren die Geburtsorte der Familie in Unterpleichfeld, in Offenburg und Ffm angegeben. In Franken kamen die Orte Neuensorg, Traindorf, Stadtsteinach, Ebermannstadt, Marienweiher, Sassanfahrt vor.

Soweit das überhaupt eroierbar ist, konnte ich über die letzten 30 Jahre keinen Turbanisch in einem fahrenden Volk ermitteln. Doch noch 1939 verfasste der Oberbürgermeister in Ffm dem Poiizeipräsidenten (24.01.1939, Stadtarchiv Mag.-Akte 2203) eine Akte über die Notwendigkeit der "Zigeunerbekämpfung" in seiner Stadt und führte folgende Namen auf: Weiss, Weinrich, Mehbach, Winterstein, Zöllner, Klein, Adler und Turbanisch. In den 50er Jahren gab es noch den Namen Turbanisch unter den fahrenden Völkern im Raum Frankfurt und in Norddeutschland. Seitdem sind nach und nach alle noch fahrenden Familienmitglieder (und vor allem diejenigen, die das 3. Reich als Teilnehmer oder Opfer überlebt hatten) sesshaft geworden. Soweit zur Familiengeschichte, die auch den einen oder anderen interessieren mag.

Außer in Deutschland, wo der Name konzentriert vorkommt, gibt oder gab es noch Eintragungen dieses Namens in der Schweiz, in Österreich, in Frankreich und in den USA (seit dem 19. Jhd.). In der Ukraine wird eine höchstwahrscheinliche Namensähnlichkeit aufgeführt, sowie auch in Rumänien. In der bulgarischen Sprache soll Turbanisch einen Hersteller von Turbanen bezeichnen, im Amerikanischen bezeichnet Turbanisch oder Turbanische den Aufbau eines Turbans. An die Ableitung vom ukrainischen Torban glaube ich dahingegen nicht. Das zur etymologischen Bedeutungssuche, wobei es vielleicht noch Leser gibt, die diesem Artikel noch weitere wertvolle Informationen hinzufügen könnten!

Zusammenfassend ist die Herkunft der Familie "indogermanisch", wenn mir der unpräzise Ausdruck so erlaubt ist. Eine ziehende Familie, der aus den Steppengebieten Südrusslands, vor 500 Jahren nach Europa zog, wie ganze Völker in den tausenden Jahren zuvor. Wir stellen in der Mitte des 17. Jhd. eine sesshafte Familie Turbanisch in Oberfranken fest, im 19. Jahrhundert eine weitere Verbreitung der Familie in ganz Franken, in Frankfurt aM. und im Schwabenland. Hier wird auch der jenische Teil der Familie eindeutig dokumentiert und die Familie teilt sich damit in eingebürgerte Angehörige und in Fahrende. Im 20. Jhd. dann die Stigmatisierung der Nicht-Sesshaften durch das Naziregime und die Eingliederung der anderen Turbanisch in das nicht weniger risikoreiche System der Herrenmenschen. Statistisch gesehen, dürften es sowohl auf der einen, als auf der anderen Linie genauso viele Opfer während des letzten Krieges gegeben haben. Doch kann man dadurch die Geschichte eines Großteiles der Turbanisch-Familie über 12 Generationen sicher nachverfolgen, ausgehend vom ersten Eintrag in Kulmbach.

Wie stehen nun die Turban und die Urban zu den Turbanisch? Wo kann man eine Ableitung vom Hl. Urban erkennen oder vermuten? Kann der Name vom Turban abgeleitet sein und kann danach die Abstammung aus Indien angenommen werden? Oder eher eine ukrainische, bulgarische oder tschechische Verballhornung des Namens? 

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Platon schrieb:

In der bulgarischen Sprache soll Turbanisch einen Hersteller von Turbanen bezeichnen.

Das kann nicht stimmen, denn Turban heißt auf russ., ukr. und bulgтюрбан  [ t j u r b á n ]   - nicht  турбан  [ t u r b a n ].

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diogenes schrieb:

Platon schrieb:

In der bulgarischen Sprache soll Turbanisch einen Hersteller von Turbanen bezeichnen.

Das kann nicht stimmen, denn Turban heißt auf russ., ukr. und bulgтюрбан  [ t j u r b á n ]   - nicht  турбан  [ t u r b a n ].

 

Das ist ja hochinteressant und damit fällt  die Hypothese der Bulgarienlinie aus! Die Suche geht demnach weiter in den bessarabischen, ukrainischen und russischen Raum, also mehr in das Gebiet der Steppen im Osten des Schwarzen Meeres.

Gibt es eventuell Aufzeichnungen von Migrationen dieser Völker in das demografische Vakuum, das der 30-jährige Krieg in Oberfranken hinterlassen hatte? Wie konnten deutsche Landesfürsten ukrainische Bevölkerungen zur Ansiedlung in Kulmbach motivieren? Wahrscheinlich nicht viel anders, als die Italiener, die um 1950 nach Deutschland kamen oder die Hugenotten, die im 17. Jahrhundert aus Frankreich und Österreich anreisten! Diese hatten allerdings den schweren Makel, der falschen Religion anzugehören und die erzkatholischen Gegenden Frankens aus dem Gleichgewicht zu bringen. Suchte man deshalb vermehrt nach Katholiken in anderen Ländern oder kamen diese aus freien Stücken, um dort ihr Glück zu versuchen? 

Die Familie war seit Anfang an streng katholisch und in den Kirchenregistern ziemlich lückenlos seit dem 18. Jahrhundert aufgeführt. Protestantische Ausrichtungen gab es erst in jüngster Zeit im nördlichen Deutschland. Interessant ist auch die starke soziale Integration der Turbanisch: sie füllen die Listen der Freiwilligen Feuerwehren, der Fussballvereine und der Reservistenvereine seit dem 19. Jahrhundert. 

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Platon schrieb:

Wie konnten deutsche Landesfürsten ukrainische Bevölkerungen zur Ansiedlung in Kulmbach motivieren?

Ich denke, die nach Mitteleuropa eingewanderten Zigeuner sind von niemandem motiviert worden, sich hier niederzulassen. Ganz im Gegenteil, die Vorurteile gegen diese Bevölkerungsgruppe waren in der Vergangenheit schon immer sehr groß. Deine Fragen sind jedoch Gegenstand der Ahnenforschung bzw. Bevölkerungsmigration, mit denen wir uns hier nicht beschäftigen. Aufgrund fehlender KB - Einträge vor der Mitte des 17. Jh. wird es ziemlich unmöglich sein, den Weg einer ursprünglich wandernden Volksgruppe nachzuzeichnen. Als einziges Indiz für die Herkunft können ähnliche Namen sein, die in Bessarabien (heute Moldawien) und der Ukraine zu finden sind. Aber auch das könnten Zufälle sein und in die Irre führen, da wir gar nicht wissen, ab wann genau diese Familie einen FN trug und wie er sich ursprünglich schrieb.