Das Kind beim Namen nennen
Liebe Leser, es ist Zeit, mich zu outen: Ich heiße nicht nur Claudia, sondern Irmgard Ruth Claudia. Dass diese heute zum Schmunzeln anregende Namenwahl durch meine Eltern keineswegs willkürlich erfolgte, ist ein kleiner Trost. Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) veröffentlicht Anfang 2014 eine Studie zu den Motiven der Vornamenwahl – vermutlich, um auch einer größeren Gruppe von Menschen zu zeigen: Ihr seid nicht allein, sondern teilt euer Schicksal mit einer Vielzahl von Menschen, deren Eltern einstmals gute Gründe für ihre kuriose Namenswahl hatten. Anlass genug für mich, einmal selbst zu möglichen Motiven der Namenswahl zu forschen. Wie war das früher? Und was hat sich seitdem geändert?
Sie ahnen es vielleicht schon: Pate für meine beiden weiteren Vornamen waren meine Großmütter. Oma Ruth wurde 1907 geboren, Oma Irmgard 1921, und ich finde, das merkt man diesen Namen auch an. Doch wie kommt das? Was macht diese Namen gefühlt „altmodisch“, und von welchen Motiven ließen sich die Menschen vor 100 Jahren bei der Wahl der Vornamen für ihre Kinder leiten?
Schaut man auf die Liste der beliebtesten Vornamen, die die GfdS für die Region Berlin zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zur Verfügung stellt, stellt man fest: Beiden Omas haben die Hitlist geknackt [Quelle]. Ein Blick in die Fachliteratur bestätigt: Meine Urgroßeltern haben alles richtig gemacht und die damals gängigen Regeln der Vornamenwahl befolgt.
Top 5 Motive der Namenwahl - damals
- Tradition – Vor 100 Jahren bot der eigene Stammbaum nicht nur eine gute Inspiration für mögliche Vornamen des Nachwuchses, sondern es war gerade in gutbürgerlichen und adligen Häusern schon fast eine Pflicht, die Namen der Altvorderen in den/die Vornamen des Kindes zu integrieren. Tradition verheißt Beständigkeit und das Fortführen großer Werte. Eine traditionsorientierte Namenswahl legte den Grundstein dieser beiden Werte bereits zur Geburt des Kindes.
- Ein großer Name kann Großes bewirken – In der Liste der beliebtesten Vornamen für die Jahre 1910 bis 1919 laut Knud Bielefeld finden sich unter den vorderen Plätzen die Namen Karl, Wilhelm, Friedrich und Otto. Die Vermutung liegt nahe, dass hier häufig an die Könige und Kaiser der vergangenen Jahrhunderte gedacht wurde, auf dass auch dem Nachwuchs eine große Zukunft bevorstehe.
- Nomen est Omen – Warum, so fragt man sich aus heutiger Sicht, war der Name meiner Oma Irmgard einst so beliebt? An seinem harmonischen Klang scheint es eher weniger zu liegen. Die Antwort: Der Name hat seinen Ursprung im Althochdeutschen und setzt sich zusammen aus Wörtern für „umfassend“ und „Schutz“. Ein gutes Omen für die Namensträgerin!
- Der Ton macht die Musik – Tatsächlich war schon früher der Klang des Namens ein entscheidendes Kriterium. Die Vokale A, E und O sind resonant und lassen ein Wort optimistisch und offen klingen. E und I hingegen wirken kurz und bündig, entschieden. Der Mentalität der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert schien dies eher zu entsprechen, denn vor meinen Omas Irmgard und Ruth schaffen es auch Hedwig, Elfriede, Erne und Ilse auf die oberen Ränge der Namenslisten.
- Regionale Einflüsse waren ein weiterer wichtiger Punkt bei der Wahl des Vornamen, sodass in Bayern die royal anmutenden Vornamen Maximilian und Ludwig dem berlinerischen Fritz oder Friedrich tendenziell vorgezogen wurden.
Vor gut 100 Jahren war die Wahl der Vornamen für den Nachwuchs also stark von gesellschaftlichen Einflüssen und Traditionen geprägt. Wie es sich damit heute verhält, erfahren Sie im zweiten Teil.
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