12.Jun.2011

Euphonie und Anglophilie

Lassen Sie uns zum Schluss noch einen Blick auf weitere Tendenzen werfen, die sich aus der Auswertung der Daten im Allgemeinen ergeben hat.

Von jeher ist neben der sozialen Bedeutung der Klang eines Namens das wesentliche Merkmal, von dem sich Eltern bei der Suche leiten lassen. "Der Name hat uns einfach gefallen" - eine Antwort, die bei einer Befragung im Land wohl am häufigsten gegeben werden würde, bezieht sich meistens auf das Wohlempfinden, das eine Lautfolge in unseren Ohren verursacht. Diese Euphonie gestaltet sich je nach Sprach-und Kulturkreis unterschiedlich, daher finden beispielsweise viele Westeuropäer konsonantenreiche und als hart empfundene Namen arabischer oder osteuropäischer Herkunft nicht besonders schön.

In den Jahren 2006-2010 kann man bei den Kindernamen des Manfelder Landes eine Präferenz für einige bestimmte Anfangsbuchstaben ausmachen, die gerade deutlich bei neugeborenen Mädchen zeigen, dass Wohlklang und Weichheit eine tragende Rolle gespielt haben. Die Top 3 der beliebtesten Buchstaben der Erstnamen waren L (141x), A (72x) und M (52x), während bei den Jungen auch L (91x) dicht gefolgt von J (83x) und F/T (46x) sich als Spitzenreiter behauptet. Von 575 weiblichen Nachkommen insgesamt haben 24,5% , also ein Viertel, einen Namen mit L bekommen, bei welchen sich wiederum eine Konzentration auf wenige zeigt:

 

Beliebteste Mädchennamen
L A M
Lea / Leonie (20x) Anna (14x) Mia (11x)
Lena (13x) Amelie/Angelina (7x) Marie (10x)
Laura / Lucy (11x) Alina/Amy (6x) Maya/ Michelle (5x)
Lara (10x) Alexandra (4x) Marleen (3x)
Lilly (8x) Anne (3x) Marie/ Maxi (2x)

[Tabelle 1]

Jungen bekamen im Gegensatz dazu viele verschiedene Namen oder Schreibvarianten mit demselben Anfangsbuchstaben, wodurch sich eine so deutliche Dominanz nicht herausarbeiten lässt.

 Beliebteste Jungennamen mit L 
Leon/Luca (14x)
Lucas (11x)
Lukas (10x)
Lennox (8x)
Louis (5x)

[Tabelle 2]

Genau dieser Reichtum an unterschiedlichen Rufnamen bestätigt sich auch in dem anhaltenden Interesse für englische und spezifisch amerikanische Namen, die seit mehr als 30 Jahren unentwegt in Deutschland vorhanden sind, wahrscheinlich aber nie so vielfältiger Natur waren.

Englische und amerikanische Namen für Jungen

Von 1124 Kindern hören jetzt 398 (35,4%) auf einen englischen Namen, wobei die Zweitnamen auch eingerechnet wurden. Die Verteilung beläuft sich auf 233 bei Jungen und 165 bei Mädchen. Die Zuordnung zu dieser Mode gestaltete sich manchmal äußerst schwierig, da mir nur das Datenmaterial zur Verfügung stand und nicht die Aussprache, für die sich die Eltern entschieden haben.

Einige der bevorzugten Namen stammen, streng gesehen, aus anderen Sprachen wie z.B. Orlando oder Noel und die Frage bestand, woher ursprünglich ihr Wissen um diese herkam. Hierzu wurden von mir dann etwaige zusätzliche Namen und die Familiennamen beobachtet. Bei der Kombination Phil-Orlando ist daher darauf zu schließen, dass es sich um die englische Aussprache handelt und auch Lennox Noel sieht nicht so aus, als ob hier die französische Variante gewählt wurde. Sie würde den Namenfluss stören, den die meisten Menschen als essentiell für den Wohlklang empfinden.

Das Einbeziehen dieser Namen entstand somit nicht pauschal, sondern in jedem einzelnen Fall. Grundsätzlich unterschlagen wurden die häufig auftauchenden Kurzformen Tim, Tom und Mark, weil sie als überkonfessionelle Formen sowohl aus unseren latein/griechisch geprägten als auch aus den englischen Parallelformen der christlichen Namen gebildet werden können. Ob also
Tim die letzte Abstufung über Timo von Timotheus ist oder direkt von Timothy durch den Kontakt mit der amerikanischen Welt seit Ende der 40-er Jahre zu uns gelangte, wird wohl unklar bleiben. Für meine Auswertung konnte ich auf sie verzichten, da sie uns bereits so geläufig sind, dass wir sie eingedeutscht haben, während es bei den anderen Namen dieser Kategorie gerade darum geht, sie anders auszusprechen und das Kind damit abzugrenzen.

Englische Rufnamen bei Jungen
Erstnamen Zweit- und Drittnamen
Aaron (3x), Anthony (2x), Aydan, Brian, Cedrik Collin, Colin, Conner, Dean, Edgar, Finn (2x)
Cliff, Cody, Collin, Colin, Conner, Curtis Fynn, Henry, Jason, Jordan, John, Kevin
Danny, Dan, Douglas, Dustin (3x), Dylan Lennart, Logan, Lloyd, Maddox, Mike (3x)
Finn (5x), Fynn (8x), Finlay (2x), Finley, Henry Oliver, Robin, Steve, Tristan, Tylor, William
Iven (2x), Jaden, Jamie (5x), Jason (17x)
Jeremy (2x), Jim (2x), John (5x), Johnny, Jo
Justin (8x), Kenny, Kevin (3x), Lennox (9x)
Lennard, Lenny (4x), Lewis, Lex
Liam (2x), Luke, Madox, Maddox, Marlon
Mick (2x), Merlin, Nason, Nicholas, Nolan
Oliver, Oskar (2x), Phil (2x), Phill, Robin (3x)
Ronny, Ryan, Sam, Samy, Sidney, Sky, Stan
Stanly, Steven (4x), Tayler (2x), Taylor, Tommy
Toni (3x), Tony, Travis, Tristan (2x), Tyler (3x)
Tyson, Wayne, Willy

[Tabelle 3]

Wenn man sich die Namen genauer ansieht, kann man einige Unterkategorien bezüglich Herkunft und Motivation erstellen. Zunächst fällt das Interesse an keltischen Rufnamen auf. Wahrscheinlich sind auch diese durch den Einfluss von Film, Fernsehen und Presse erst in das Bewusstsein der Menschen gekommen, sie unterscheiden sich jedoch von den typisch amerikanischen Lieblingen dadurch, dass sie für uns in keinster Weise von etwas uns Bekanntem ableitbar sind.

Mick und Tony werden den meisten Leuten sehr wohl als Kurzformen von Michael und Anthony vorkommen, während der trendige Fynn oder Conner keinerlei direkte Assoziation hinsichtlich ihres Ursprungs bieten. Ihre Aussprache ist im Allgemeinen zudem wesentlich härter und da wir medial gesehen, mit den Britischen Inseln weniger zu tun haben, finden viele Deutsche diese „englischen Namen“ viel exotischer. Manch einer scheint allerdings Gefallen an Legenden aus dieser Region gefunden zu haben, denn anders lässt sich wohl nicht erklären, warum ein kleiner Junge im Mansfelder Land den Namen Merlin, also den des berühmten Zauberers aus der Artussage trägt.

Während die englischen Klassiker wie John, Jeremy und William eher verhalten auftauchen, gefielen der Mehrzahl der Eltern die oft schon erwähnten US-amerikanischen Formen am meisten.

Was ist nun damit eigentlich gemeint, wo wir im Groben als Deutsche da keinen Unterschied machen? Die amerikanische Namengebung ist unter anderem besonders geprägt von Kurz-und Koseformen. Während traditionell in England eher die Langform als Rufname eingetragen wurde, was sich durch Re-Import von Namenmoden aus den ehemaligen Kolonien zumindest in der Arbeiterklasse schon angepasst hat, konnte in den USA die Unkonventionalität den Vormarsch antreten. Warum das Kind umständlich Samuel oder Kimberly nennen, wenn sie im Alltagsleben ohnehin nur Sammy und Kim gerufen werden?

Der Lässigkeit halber, die weltweit durch amerikanische Prominente und die Entertainment-Industrie propagiert wird und der man in Europa überall ausgesetzt ist, suggerieren Jim (statt James), Bob (statt Robert) und Lex (statt Alexis) solide Bodenständigkeit und Hilfsbereitschaft im Land der unbegrenzte Möglichkeiten, wo jeder Normalo fernab von Klassenuterschieden ein Star werden kann. Im alten Europa war das zu Gründerzeiten nicht so einfach und dieser tief verwurzelte Geist spielt auch heute noch eine Rolle.

Die Freiheiten, die dem Menschen laut Verfassung dort gegeben sind und auf unserem Kontinent aus geschichtlich gewachsenen Gründen beschnitten wurden, umfassen eben nicht nur das Recht auf Waffenbesitz, sondern auch sein Kind so zu benennen, wie einem beliebt. In Deutschland darf ein Kind nicht Sommer oder Himmel heißen, weil Gegenstände und Sachbergriffe als nicht angemessen betrachtet werden. Sie könnten das Kind zudem Hohn und Spott aussetzen. Summer und Nevaeh (Heaven rüchwärts gelesen) dürfen allerdings mit ihren Namen durchs Leben gehen; ersterer auch bei uns eingetragen werden. Das beweisen uns junge Eltern, die in der Öffentlichkeit stehen, spätestens seit den 80-er Jahren immer wieder. Oder haben Sie noch nie von Peaches Geldoff und Bluebell Halliwell gehört?

Auch der Einfluss afro-amerikanischer Schreibversionen zeigt sich in meinem gesammelten Material. Nason und Tyler weisen daraufhin, dass neue Varianten dadurch gebildet werden, dass man sie ihrer eigentlichen oder auch falschen Aussprache anpasst. Nason war irgendwann einmal ein Nathan und Tyler der durschnittliche englische Familienname Taylor. Man kann die Abschwächungen in Tabelle 3 schön nachvollziehen: Taylor – Tayler – Tylor – Tyler. Für deutsche Ohren klingen Namen mit einem -y- oder einem -a- , die die englische Aussprache -ay- oder -ey- erfordern, wahrscheinlich besonders cool und weltgewandt, weshalb Sidney, Stanly, Tyson oder Ryan nicht umsonst auftauchen.

Es ist anzunehmen, dass auch die häufig auftretenden Kurzformen, welche auf -y- enden, teilweise diesen Effekt verfolgen. Ob allerdings die Vorliebe für solche Namen vorrangig in der deutschen Unterschicht vorzufinden ist, wie oftmals erwähnt wird und in Stand Up-Comedyprogrammen gern für die Lacher sorgt, muss ich leider als offene Frage belassen. Das Material gibt mir keine Auskunft über den sozialen Stand der Eltern. Man kann allerhöchstens Aussagen über ihren Medienkonsum machen, den mein folgendes Beispiel beweist.

Der Namenforscher sucht sicher immer nach Namen, die aus einer Masse herausragen. In meinem Fall ist es der drei mal vergebene Name Maddox, der mir ein Startpunkt auch zur Auswertung der Mädchennamen sein kann. Maddox hat im aktiven Namenwissen der Deutschen bis vor ein paar Jahren nicht stattgefunden. Seit der Bekanntheitsgrad der US-Schauspielerin Angelina Jolie nach ihrem Oscar-Gewinn und der Partnerschaft mit Brad Pitt in selbst für die Klatschpresse neue Dimensionen gestiegen ist, findet sich auch ein überdurchschnittliches Interesse für die Namen der Kinder ihrer Großfamilie. Ihr erstes adoptiertes Kind ist der Maddox, dem wir mit großer Wahrscheinlichkeit den Hype um seinen Namen im Mansfelder Land verdanken.

Nun kann man sich streiten, ob drei Namenvergaben schon einen Trend ausmachen. Zieht man allerdings das relativ kleine Einzugsgebiet des Klinikums und seine damit geringe Einwohnerzahl in Betracht, finde ich, ist es durchaus bemerkenswert, zumal wir von einem sehr seltenen Namen sprechen, welcher in den bundesweiten Statistiken nicht unter den 200 beliebtesten aufgelistet ist.

Englische und amerikanische Namen für Mädchen

 Englische Rufnamen bei Mädchen
Erstnamen Zweitnamen
Abby, Aimee (2x), Amy (6x), Ashley, Alysha April, Charlett, Charlize, Emily, Emilie
Charlene, Charline, Charleen, Chelsea , Cholena Jane (2x), Jean, Joleen, Joy, Joyce, Justine, Lee
Colleen, Curly, Emely (2x), Emey, Emilie Lynn (4x), Luzie, Lissy, Madison, Sue
Emily (8x), Emmely (2x), Fanny, Finja (2x) Summer, Sunday, Syster
Fiona (2x), Haily, Jamie, Jammie, Jane
Jenny (5x), Jessica (3x), Jo-Ann, Joanna, Joann
Joana, Jody, Jolie, Jolin, Josey, Joy, Joyce, Julie
Kim (5x), Kimberly (2x), Lili, Lilli, Lilly (8x)
Lindsay, Lissy, Lucy (9x), Lucie (2x). Marcia
Mary, Mylene, Nelly (3x), Rachel, Samanta
Samantha (3x), Samentha, Sandy, Shannon, Sue
Summer, Vanessa (6x), Virginia (2x), Zoe (2x)

[Tabelle 4]

Angelina Jolie selbst hat auch klanglich einen Eindruck bei Mädchennamen hinterlassen. So wurde Angelina 7x, Jolie 1x und die nur um eine Nuance erweiterte Joleen/Jolin jeweils 1x vergeben. Grundsätzlich muss man auch bei den weiblichen Rufnamen anmerken, dass sie mehr nach kalifornischer Sonne denn englischem Regenschauer anmuten und genau das wohl ihre Auswahl begünstigte. Sunday, Summer, Joy und Nelly vermitteln Leichtigkeit und lachende Kindergesichter, die sich ein Wohlwollen bei ihren Mitmenschen sicher sein können. Zur Entscheidung für oder gegen einen Namen gehört schließlich auch unsere Vorstellung davon, wie Kinder später mit diesem leben und welche Reaktionen sie erwarten dürfen; das kollektive Namenempfinden.

In der Übersicht von Tabelle 4 sieht man, dass ein Großteil der Namen an sich nur verschiedene Schreibweisen derselben sind und die Mädchen daher nicht mit der Vielfalt der Jungennamen mithalten können.

Top 5 der Namen, die in mehreren Varianten auftreten:
Emily (15x)
Lucy (12x)
Lily (10x)
Amy (9x)
Samantha (5x)

Der Geschmack vieler Elternpaare ähnelte sich folglich, wie auch im allgemeinen Trend sichtbar, in den Jahren 2006-2010 vor allem bei der Benennung von weiblichen Nachkommen. Zumindest in diesem Falle wurde die in Studien oft erwiesene These, dass Mädchen im Allgemeinen ausgefallenere und gerade aktuelle Namen bekommen, nicht bestätigt. Der Geschmack der Eltern verblieb bei den Jungen keineswegs nur an traditionell akzeptierten Namen, wobei man jedoch anfügen muss, dass bis auf die schon erwähnten überkonfessionellen Kurzformen noch keine echte Tradition englischer Namenvergabe in Deutschland besteht. Sollten sich die Tendenzen in den nächsten Jahren fortführen, ist aber nun damit zu rechnen, dass aus der von mir betitelten Anglophilie bestimmt ein Amerikanismus wird.